Rote Fahne 19/2020
Paul Weber – ein „Faschist und Antisemit übelster Sorte“?
Eine Auseinandersetzung mit einem Leserbrief zu dem Artikel auf Rote Fahne News vom 1. August 2020 zur A. Paul Weber-Ausstellung in Göttingen
In dem Artikel auf Rote Fahne News heißt es: „Weber hatte eine frühere nationalistisch-konservative Einstellung, die sich auch in antisemitischen Zeichnungen niederschlug, überwunden. Anstatt zu begrüßen, dass ein Mensch seine Denkweise verändert, werfen ihm heute einige Kunsthistoriker ‚Widersprüchlichkeit‘ vor.“
Ein Leser empörte sich zunächst darüber „Mir ist völlig unbegreiflich, wie wir für diese Ausstellung Werbung machen können und warum Karl Nümmes da auftritt! Wie aus dem Wikipedia-Artikel unzweideutig hervorgeht, war er mindestens den größten Teil seines Lebens ein Faschist und Antisemit übelster Sorte.“
In einer Antwort darauf wurde ausgeführt: „Das Weber-Museum in Ratzeburg fasst die Ergebnisse der Forschung zu dieser Frage so zusammen: ,In seinen jungen Jahren – er wurde 1893 geboren – war er in der Wandervogelbewegung. Aus dieser Zeit bis 1926 stammen die Zeichnungen, die zurecht kritisiert werden.‘
Die Zeichnungen sind natürlich auch zu kritisieren, wenn sie nur den Auftraggebern zuliebe antisemitisch waren. Nach dem II. Weltkrieg hat Weber 1960 die Schändung jüdischer Friedhöfe zum Anlass genommen, das Bild ‚Die Ratte‘ zu zeichnen ….‘ Hier warnt er eindringlich vor der Gefahr einer neuen faschistischen Bewegung.
Anfang der 1930er-Jahre bekam A. Paul Weber Kontakt zu Ernst Niekisch, den Herausgeber der Zeitschrift „Widerstand“. Die eindeutig antifaschistischen Zeichnungen Webers prophezeiten die Niederlage und den Massenmord durch das Hitler-Regime. Davon zeugen die Zeichnungen „Hitler, ein deutsches Verhängnis“ oder „Der Sturz in den Sarg“.
Nach seiner Freilassung aus dem KZ Fuhlsbüttel zeichnete A. Paul Weber trotz politischen Zeichenverbots weiter. In diesen Bildern findet sich viel verschlüsselte Kritik. Dafür stehen die Britischen Bilder. Sie sind so gestaltet, dass die Kritik an Sklavenhandel, Ausbeutung und Unterdrückung anderer Völker eine Kritik an jedem Imperialismus zeigt. Es war eine gefährliche Gratwanderung, Zeichnungen so zu gestalten, dass sie in faschistischen Medien und Museen gezeigt wurden, wo Weber damit gleichzeitig andere seiner Bilder zeigen durfte.
Nach dem II. Weltkrieg sind seine politischen Zeichnungen – gegen die Wiederaufrüstung durch die Adenauer-Regierung, gegen die Atombewaffnung, gegen das Erstarken von offen faschistischen Organisationen, gegen die Umweltzerstörung oder das kapitalistische
Gesundheitssystem – Anklagen gegen Bürokratismus und Untertanengeist. 1992 fand die erste Ausstellung der Sammlung im Arbeiterbildungszentrum Gelsenkirchen statt.
Stefan Engel schrieb damals ins Gästebuch: ,Gegen den Strom schwimmen – darin hat sich A. Paul Weber glänzend verstanden. Seine antifaschistische, antibürokratische Grundhaltung in vollendeter Kunst auszudrücken, das ist Webers große Auszeichnung.‘
Die Methode des Wikipedia-Artikels ist unhistorisch, weil sie die Entwicklung A. Paul Webers ausblendet. Sie ist einseitig, weil er die im Gesamtwerk wenigen kritikwürdigen Zeichnungen hervor hebt, ohne die hervorragenden fortschrittlichen überhaupt zu erwähnen. Alle sind herzlich eingeladen, sich ein eigenes Bild über das Werk A. Paul Webers zu machen.“
Der kritische Leser antwortete inzwischen erneut: „Vielen Dank für eure ausführliche Stellungnahme. Ich habe mir die differenzierte Lebensbeschreibung auf der Seite des Ratzeburger Museums durchgelesen und finde eure Kritik an mir und der unkritischen Übernahme des Wikipedia-Artikels berechtigt. Es ist richtig und wichtig, dass wir die unterschiedlichen Formen des Widerstands gegen den Hitler-Faschismus würdigen, auch den von bürgerlichen, christlichen, sozialdemokratischen und anderen Kräften. Hier hat auch meines Wissens die Bündische Jugend eine wichtige Rolle gespielt. …
Es ist doch zu begrüßen, dass ein Mensch seine Denkweise verändert, und von fundamentaler Bedeutung. Ohne diese Einstellung wäre ein Neuanfang nach dem Krieg in Westdeutschland und erst Recht nicht in der DDR möglich gewesen. Das hat natürlich auch für heute entscheidende Bedeutung.“