Rote Fahne 21/2020

Rote Fahne 21/2020

Polizeipräsident Frank Richter muss zurücktreten!

Sabine Schweizerhof von der Kreisleitung der MLPD Essen/Mülheim beleuchtet im Gespräch mit der Roten Fahne Hintergründe und Auswirkungen des bekanntgewordenen faschistischen Netzwerks in der Essen-Mülheimer Polizei

Von Redaktion Rote Fahne
Polizeipräsident Frank Richter muss zurücktreten!
Faschistischer Aufmarsch am 1. März 2020 in Essen – geschützt und begleitet von der Polizei Essen-Mülheim, gegen den Protest von Antifaschisten. Fotos: RF

Rote Fahne: Bisher wurden 30 Polizeibeamte suspendiert, die über eine Chat-Gruppe „übelste neonazistische Hetze“ austauschten, wie NRW-Innenminister Herbert Reul zugeben musste. 25 davon kommen aus der Polizeidirektion Essen/Mülheim. Gibt es darüber neue Erkenntnisse?

 

Sabine Schweizerhof: Das ist offensichtlich nur die Spitze des Eisbergs. Bei einer Polizistin wurden auch ein Gewehr und dienstliche Munition sowie geringe Mengen Drogen gefunden. In NRW gibt es offiziell 108 „Verdachtsfälle“ bei der Polizei, 31 davon in der Essener Polizei. Dass sich das in Essen so konzentriert, geht auf die besonders antikommunistische Ausrichtung des Polizeiapparats dort zurück.

 

Was ist das für eine Chat-Gruppe und woher kennen sich ihre Mitglieder?

 

Fast alle von ihnen waren eine zeitlang in einer gemeinsamen Dienstgruppe in Mülheim tätig.

 

Mehrfach gingen Essener Polizisten brutal gegen Antifaschisten und Marxisten-Leninisten vor, statt gegen Faschisten wie die „Steeler Jungs“. Offenbar gibt es personelle Verbindungen …

 

Während wir Antifaschisten hinter Absperrgittern die Protestkundgebung des Internationalistischen Bündnisses durchführten und mit Anzeigen überzogen wurden, marschierten die faschistischen „Steeler Jungs“ ungehindert durch die Fußgängerzone. Dass es da personelle Verbindungen zu Polizisten gibt, liegt längst auf der Hand. Die WAZ Gelsenkirchen vom 25. September berichtet von einer „Facebook-Verbindung“ eines Mitglieds der „Steeler Jungs“ zu einem Mitglied einer Polizei-Chat-Gruppe. Am 19. Dezember 2019 gab es gar einen brutalen Polizeieinsatz, als den Faschisten die Straße regelrecht freigeprügelt wurde und Genossen von uns übelst attackiert und verletzt wurden, darunter Gabi Fechtner, die Parteivorsitzende der MLPD. Dagegen sind wir sofort an die Öffentlichkeit gegangen, politisch und juristisch.

 

Was ist davon zu halten, wenn der Essener Polizeipräsident Frank Richter sagt, er sei „fassungslos und hätte das nie für möglich gehalten“?

 

Das ist mehr als scheinheilig. Richter muss zurücktreten, diese Forderung wird mittlerweile nicht nur von der MLPD erhoben. Der Vorwurf des Rassismus bei der Polizei wurde von Reul, Richter und Essens OB Thomas Kufen unisono als „unerträglich“ bezeichnet, gar ein Ratsbeschluss herbeigeführt, der „allen Polizisten“ demonstrativ den Rücken stärkte. Das war objektiv auch ein Tritt gegen alle demokratisch eingestellten Polizisten, die gegen sowas angehen wollen. Gegen die Gewerkschafterin Ursula Gerster wurde eine öffentliche Hetzkampagne gestartet. Dagegen gab es erfolgreichen Protest.1 Doch Richter fährt genau weiter diese Schiene. So sagte er jetzt tatsächlich, es gebe bislang „keine Anhaltspunkte, dass die rechten Gesinnungen Auswirkungen auf das Handeln der Beamten im Dienst hatten“. Diese Darstellung ist absolut unglaubwürdig und nicht haltbar.

 

Welchen Zusammenhang seht ihr zum allgemein brutalen Vorgehen Essener Polizisten?

 

„Notwehr“ ist die offizielle Version – bei tödlichen Polizeischüssen auf Migranten – unter anderem durch eine geschlossene Tür. Die Staatsanwaltschaft hat das Verhalten der Polizisten als korrekt bewertet und ad acta gelegt. Wir fordern, dass alle Fälle von polizeilichen Attacken auf Demokraten, Antifaschisten, Marxisten-Leninisten und Migranten unter dem Gesichtspunkt des bekanntgewordenen faschistischen Netzwerks neu untersucht werden. Mit der Mutter des getöteten Adel B. stehen wir in engem Kontakt und unterstützen sie im Kampf für Gerechtigkeit. Es gibt viele Schilderungen von betroffenen Familien, zum Teil belegt durch Filmmaterial, wie bei Polizeikontrollen aus nichtigem Anlass völlig grundlos brutal vorgegangen wurde.

 

Wie wollt ihr den Protest gegen die faschistischen Seilschaften und ihre staatlichen Förderer weiter organisieren?

 

Aktuell bereiten wir mit dem Internationalistischen Bündnis und weiteren demokratischen Kräften eine Demonstration vor. Wir wollen wissen, ob die suspendierten Polizisten in die Übergriffe verwickelt sind und fordern die Einstellung aller Verfahren gegen die betroffenen Antifaschisten, Marxisten-Leninisten und Mi­granten. Vor allem aber ist grundsätzliche Aufklärungsarbeit über den Charakter des Staatsapparats und seiner Organe nötig. Unter der gegenwärtigen Rechtsentwicklung gedeihen solche faschistoiden Tendenzen vermehrt. Natürlich sammeln wir auch Spenden für die Prozesskosten der Antifaschisten!

 

Vielen Dank für das Interview!

 

Spenden für die Prozesskosten bitte an den Rechtshilfefonds der MLPD:

GLS Gemeinschaftsbank
IBAN DE76 4306 0967 4053 3530 00
Stichwort: Prozesskosten Essen