Rote Fahne 21/2020
Von wegen: „Gemeinsam durch die Krise“ – Gegen die Abwälzung der Krisenlasten auf die Massen!
Laut einem UN-Bericht droht 176 Millionen Menschen weltweit der Fall in die Armut.
Hunderte von Milliarden Euro werden an Staatsgeldern locker gemacht, um die Folgen der Weltwirtschafts- und Finanzkrise in Wechselwirkung zur Corona-Krise abzudämpfen. Doch wer davon die Masse des Geldes bekommt und wer es künftig zurückzahlen soll, darüber streifen die bürgerlichen Parteien aus gutem Grund lieber den Mantel des Schweigens. Einmalige Zahlungen wie beim Kindergeld von 300 Euro, eine befristete Mehrwertsteuersenkung, das Recht auf die zeitweilige Stundung von Mieterhöhungen oder auch die Verlängerung und Aufstockung beim Kurzarbeitergeld mildern gegenwärtig noch die Krisenauswirkungen auch unter den Massen in Deutschland. In anderen Ländern schlägt sie bereits offener durch. Selbst in Ländern wie den USA gibt es wachsenden Hunger.
Aber die Abwälzung der Krisenlasten auf dem Rücken der Arbeiter und der breiten Massen hat auch hierzulande längst eingesetzt.
Noch versucht die Bundesregierung unter Merkel (CDU) massive Einschnitte angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl und sechs Landtagswahlen im Jahr 2021 möglichst hinauszuzögern. Dennoch haben bereits zehn Prozent der Haushalte bis zu einem Fünftel des Einkommens verloren, sieben Prozent noch mehr. In manchen Bereichen wie im Handel haben bereits 30 Prozent der Beschäftigten weniger Geld in der Tasche als vor einem halben Jahr. Wird auch in Deutschland künftig Hunger, grassierende Armut und eine sprunghaft steigende Arbeitslosigkeit das Bild der Städte prägen?
Was heute schon möglich wäre ...
Dabei könnten längst alle Menschen auf der Welt ohne Armut, Arbeitslosigkeit und Hunger in Einheit mit der Natur leben, wenn der Reichtum wirklich der Gesellschaft zugute kommen würde. Denn der gesellschaftliche Reichtum ist heute größer als je zuvor – allerdings auch immer ungleicher verteilt. So besitzen nur zehn Prozent der Erwachsenen 67 Prozent des Gesamtvermögens und auf 90 Prozent verteilt sich der Rest. Die ärmere Hälfte der Menschen in Deutschland hat fast gar kein Vermögen1.
Wenn die gesellschaftliche Ursache, die kapitalistische Ausbeutung, beseitigt und sozialistische Prinzipien als Übergang zu einer klassenlosen Gesellschaft durchgesetzt werden, gäbe es kein Leben in Saus und Braus auf Kosten anderer mehr für eine verschwindende Minderheit. In der früher noch sozialistischen Sowjetunion wurden unter komplizierten Bedingungen schon vor Jahrzehnten unvergängliche Erfolge erkämpft: „Erstmals in der Geschichte der Menschheit wurden die Arbeitenden nach ihrer Arbeitsleistung entlohnt, denn die Ausbeutung der Lohnarbeit war abgeschafft. Der Staatshaushalt diente nicht mehr der Umverteilung des Volksvermögens zur Steigerung der Profite industrieller oder Bankmonopolisten. In der Sowjetunion stammten drei Viertel der staatlichen Einnahmen aus Abgaben der Staatsbetriebe und Kollektivwirtschaften (Umsatzsteuer, Abführung eines Teils der Gewinne, Sozialversicherungsbeiträge), während Steuern und Abgaben der Bevölkerung nicht einmal fünf Prozent ausmachten. Die Werktätigen mussten keine Sozialversicherungsbeiträge zahlen, weil das Sozialwesen staatlich finanziert wurde.“ 2
Es ist also keineswegs ein Naturgesetz, dass in Deutschland 80 Prozent der Steuereinnahmen aus Massensteuern stammen. Die Unternehmenssteuern machen lächerliche 20 Prozent aus.
Anderswo ist die Lage noch schlimmer ...
Oft hört man: „Es gibt schon einige Probleme. Aber es geht uns im Vergleich zu anderen Ländern doch noch relativ gut.“
Aber dass es anderen noch schlechter geht, macht doch soziale Ungerechtigkeit, Ausbeutung, schamlose Bereicherung der Monopole und dergleichen keinen Deut besser. Wenn man sieht, was heute alles möglich ist, dann wird das Argument vollends seltsam, dass es ja immerhin anderswo noch schlimmer sei. Das kann doch für die Arbeiter und ihre Familien nicht der Maßstab sein!
Und wohin führt uns das Denkmuster, alles mögliche hinzunehmen, weil es ja noch schlechter sein könnte? Den Arbeitern in den Betrieben wird erzählt, sie sollen Abfindungen nehmen, sie könnten ja auch entlassen werden. Erstens reicht eine Abfindung auf die Jahre gesehen hinten und vorne nicht und zweitens fehlt dann der Arbeitsplatz für die Jugend. In der Umweltpolitik soll das höchste der Gefühle noch der Appell an die Regierungen sein, die Ziele des Pariser-Klimaabkommens bitteschön einzuhalten. Dabei würden die dort vorgesehenen Temperaturerhöhungen um 1,5 bis 2 Grad Celsius bereits katastrophale Auswirkungen auf das Weltklima haben.
Das Herangehen „es könnte ja noch schlimmer werden“ führt in eine Abwärtsspirale bei sozialen und politischen Rechten oder auch in der ökologischen Frage. In Krisenzeiten wie jetzt ist es wichtig, sich von solchen Denkmustern freizumachen und auf die Klasseninteressen zu besinnen. Wie heißt es so schön: Wir wollen die Torte, und nicht nur ein Kuchenstück.
Das kapitalistische System, das trotz gewaltiger Fortschritte der Technik, der Arbeitsproduktivität und Medizin einer wachsenden Masse von Menschen nur Armut, Existenzunsicherheit und Angst vor der Zukunft zu bieten hat, kann und wird nicht das letzte Wort der Geschichte sein! Es ist Zeit für sozialistische Perspektiven!
Das aber wollen alle bürgerlichen Parteien, einschließlich der AfD mit ihrem modernen oder auch offen reaktionären Antikommunismus gerade verhindern. Teils wird der Antikommunismus geradezu hysterisch. Trump vermutet mittlerweile öffentlich, dass jeder seiner Kritiker ein „verkappter Kommunist“ sei. Alice Weidel von der AfD warnte letzte Woche bei der Haushaltsdebatte im Bundestag energisch vor dem Sozialismus, der in diesem bürgerlichen Haus angeblich auf der Tagesordnung stand. Es ist an der Zeit, die Bewegung „Gib Antikommunismus keine Chance!“ entschieden zu verbreitern.
Bundesregierung – Retterin in der Not?
Trotz der weltweit einmaligen und bis 2021 verlängerten Kurzarbeiterregelung erhöhten sich bereits die offiziellen Arbeitslosenzahlen im August 2020 gegenüber dem Vorjahr um 636.000 auf 2,96 Millionen Arbeitslose. Leiharbeiter und befristet Angestellte wurden meist zuerst entlassen, zahlreiche Selbständige, kleine Gewerbetreibende und Künstler sind vom Ruin bedroht. Die großen Konzerne haben aktuell die Vernichtung von 400.000 Arbeitsplätzen angekündigt. 4,6 Millionen sind in Kurzarbeit. Daimler, MAN und Conti machen den Vorreiter in der rigorosen Abwälzung der Krisenlasten. Im Stile einer Kriegserklärung an die Arbeiter und ihre Familien gehen sie dazu über, tausende Arbeitsplätze abzubauen, ganze Werke zu schließen und drohen teils offen mit Massenentlassungen (s. S. 20/21). Das fordert die kämpferischen Belegschaften heraus. Eine intensive Diskussion zu notwendigen Streikmaßnahmen hat eingesetzt. Jeder dritte Studierende ist in soziale Not geraten und immer mehr Mieter geraten in Schwierigkeiten.
Auch wenn Einmalzahlungen vielen Familien und Kleinbetrieben erst mal etwas Luft verschafft haben, wächst schleichend die Armut in Deutschland. Allein 2,8 Millionen Kinder und Jugendliche wachsen in Armut auf. Das sind 21,3 Prozent aller unter 18-Jährigen.3 Kinder werden von schulischer Bildung und Fürsorge abgehängt, 40 Prozent der Mütter fühlen sich durch die Mehrfachbelastung und die verstärkte Abwälzung der Krisenlasten auf die Familien dauerhaft gestresst.
Wer sind die wirklichen Profiteure?
Im März bewilligte SPD-Finanzminister Olaf Scholz Milliardenzahlungen, „damit niemanden die Puste ausgeht“.4 Die Bundesregierung legte allein von März bis Juni 2020 Krisenprogramme in Höhe von 1,3 Billionen Euro auf. Das Gros davon landete direkt bei den großen Monopolen. Auf gar keinen Fall, folgt man der Regierung, soll nämlich denen „die Puste“ ausgehen. So stellt der „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ ihnen 500 Milliarden Euro bereit, ein „Investitionsprogramm“ umfasst 50 Milliarden Euro. Die Lufthansa bekam 9 Milliarden aus Steuergeldern, um im Gegenzug die Vernichtung von 26.000 Arbeitsplätzen, darunter viele Teilzeitstellen, anzukündigen. Diesen hunderten Milliarden Euro für die Monopole stehen gerade mal 24,3 Milliarden Euro gegenüber, die den Massen in Form der Mehrwertsteuersenkung und des Kinderbonus zugute kommen. Die Regierung setzt auf Zeit. Sie ging davon aus, man müsse nur einen kurzen Zeitraum überbrücken, dann würde die Wirtschaft schnell wieder aufwärtsgehen. Das folgte dem bürgerlichen Dogma, dass wir gar keine echte Wirtschaftskrise hätten, sondern nur eine durch die Corona-Krise ausgelöste kurzzeitige Delle der wirtschaftlichen Entwicklung. Tatsächlich wurde aber die Weltwirtschafts- und Finanzkrise schon Mitte 2018 eingeleitet und hält weiter an. In den meisten imperialistischen Ländern liegt die Industrieproduktion heute 10 bis 20 Prozent unter dem Vorkrisenstand, auch das Bruttoinlandsprodukt liegt deutlich im Minus. Es die tiefste Krise in der Geschichte des Kapitalismus. Verschiedene Krisen können jederzeit zu einem erneuten abrupten Einbruch in der Weltwirtschafts- und Finanzkrise führen. Das bürgerliche Krisenmanagement gerät selbst immer mehr in die Krise. Für 2021 plant die Bundesregierung eine weitere Neuverschuldung um 96,2 Milliarden Euro. Ab 2022 – sprich: nach der Bundestagswahl – soll dann die „Schuldenbremse“ wieder gelten, mit dem Ergebnis einer massiven Abwälzung der Krisenlasten. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) fordert einen härteren Kurs im internationalen Konkurrenzkampf und eine weitere Senkung der Unternehmenssteuern. Dabei fiel der Unternehmenssteuersatz seit 1999 schon von 52,3 Prozent auf heute gerade noch 30 Prozent.
Die „soziale Gerechtigkeit“ der Linkspartei
Janine Wissler, designierte zukünftige Co-Vorsitzende, erklärte unlängst, sie werde energisch für „für soziale Gerechtigkeit“ eintreten.5 Ein entschiedener Kampf zur Verteidigung der sozialen Rechte ist notwendig. Er wird aber durch die Illusion einer sozialen Gerechtigkeit im Kapitalismus sogar geschwächt.
Schon Karl Marx kritisierte: „Von Tag zu Tag wird es somit klarer, daß die Produktionsverhältnisse, in denen sich die Bourgeoisie bewegt, nicht einen einheitlichen, einfachen Charakter haben, sondern einen zwieschlächtigen; … daß in denselben Verhältnissen, in denen der Reichtum produziert wird, auch das Elend produziert wird; … daß diese Verhältnisse den bürgerlichen Reichtum, d.h. den Reichtum der Bourgeoisklasse, nur erzeugen unter fortgesetzter Vernichtung des Reichtums einzelner Glieder dieser Klasse und unter Schaffung eines stets wachsenden Proletariats.“6
Herausforderungen und neue Chancen für die Arbeiter- und Volksbewegung
In Ländern wie Israel oder in Belarus haben wir es bereits mit der Entwicklung gesamtgesellschaftlicher Krisen zu tun. Einige Länder Westafrikas stehen am Beginn einer gesamtgesellschaftlichen Krise. In den USA ist der Übergang dahin eingeleitet. Und auch in Deutschland und Europa beschleunigt sich die Tendenz zu einer gesamtgesellschaftlichen Krise des imperialistischen Weltsystems. Noch wird die Vertrauenskrise in die bürgerliche Politik durch das Corona-Krisenmanagement und die entsprechende Medienberichterstattung überlagert. Aber der fortschrittliche Stimmungsumschwung belebt sich an wichtigen Punkten.
2000 Beschäftigte und solidarische Menschen demonstrierten am 26. September in Aachen gegen die Verlagerung der Produktion des dortigen Conti-Werkes. In Nürnberg demonstrierten am 24. September 2000 MAN-Arbeiter. Bei einer Demonstration und Kundgebung der Arbeiter und ihrer Familien von Mahle in Gaildorf am 24. September gab es ein Schild mit der Aufschrift: „Klassenkampf können wir auch“. Im öffentlichen Dienst treten die Arbeiter und Angestellte in Tarifrunden selbstbewusst für höhere Löhne und Gehälter ein. Die FFF-Bewegung belebte sich mit Zehntausenden, die am 25. September gegen den voranschreitenden Übergang in die globale Umweltkatastrophe auf die Straße gingen. Es ist absehbar, dass es zu harten Klassenauseinandersetzungen kommen wird. Sie bieten neue Herausforderungen und Chancen für den Übergang in die Arbeiteroffensive und die Entfaltung des aktiven Volkswiderstands.
Die MLPD steht für die Arbeitereinheit in Deutschland und international – gegen ihre Spaltung durch Sozialchauvinismus, AfD und weitere faschistoide Kräfte. Ob als Arbeiter mit festen Vertrag, ob befristet oder in Leiharbeit, ob deutscher Arbeiter, Flüchtling oder Migrant, ob beschäftigt oder arbeitslos – wichtig ist, gemeinsam zu kämpfen. Für diese Richtung steht seit über 16 Jahren die Montagsdemo-Bewegung, die aktuell zu drei regionalen Herbstdemonstrationen aufruft. Seit Mai 2020 finden wieder Montagsdemonstrationen statt, die die Corona-Schutzmaßnahmen einhalten – genauso wie es bei den aktuellen Streikversammlungen und Arbeiterprotesten der Fall ist. Die MLPD hat diese Bewegung von Anfang an gefördert und wird sich an den Demonstrationen aktiv beteiligen. Sie hat sich im Kampf gegen den Antikommunismus eine gesellschaftliche Rolle erkämpft und geht optimistisch in diese turbulenten Zeiten.