Rote Fahne 11/2021
Das verklärte „Greenwashing“ der Klimaforschung
Das 2-Grad-Ziel unter der Lupe (zweiter und letzter Teil)
Klimaforscher erheben für sich den Anspruch, „wertfreie“ und „ideologiefreie“ Wissenschaft zu betreiben, sich ausschließlich von Fakten leiten zu lassen. Wert- und ideologiefrei war Wissenschaft aber noch nie. Freie Wissenschaft im Dienst des gesellschaftlichen Fortschritts ist immer an fortschrittliche Werte gebunden. Heute werden fortschrittliche Ansätze von Klimaforschung unterdrückt, bedroht. So machte die „Union of Concerned Scientists“ eine Umfrage, nach der 58 Prozent der Klimaforscher, die bei Bundesbehörden der USA arbeiten, über staatliche Einschränkungen ihrer Forschungsarbeiten, Druckausübung, Zensur und Nötigung zum Rücktritt berichten.1
Die dominierende weltanschauliche Grundlage in der Klimaforschung ist heute der Positivismus. Die Naturwissenschaft soll sich auf das „positiv“ Gegebene, also auf beobachtbare Gegenstände und Vorgänge beschränken. Der Positivismus leugnet vorhandene Gesetzmäßigkeiten. Sie werden als reine Spekulation abgetan. Dies führt zu einer Überbewertung der Mathematik als hauptsächliche Methode.
In die zahlreichen Klimamodellrechnungen gehen durch den Einfluss des Positivismus nur mathematisch darstellbare Rückkopplungen ein. Die Folge ist eine Verharmlosung und Unterschätzung der Entwicklung. Das kommt auch im Begriff „Klimawandel“ zum Ausdruck. Für viele Prozesse und Ökosysteme wurde durch die Klimaforschung ein Kipppunkt nachgewiesen. Beim Kipppunkt führt eine vorherige allmähliche Entwicklung zu einer neuen Qualität. Ein Sprung tritt ein, der Umschlag von Quantität in eine neue Qualität. Das gilt auch für die globale Klimaveränderung: „Ein beschleunigter Umschlag in die Weltklimakatastrophe ist bereits in vollem Gang.“2 Das ist die notwendige dialektisch-materialistische Schlussfolgerung aus all den alarmierenden Einzelergebnissen.
Mit einer positivistischen Weltanschauung sind Forscher erst dann in der Lage, das anzuerkennen, wenn die Klimakatastrophe erfahrbar ist. Dann wäre es aber zu spät. Ausdruck davon ist jetzt das 1,5-Grad-Ziel. Nachdem es zunehmend kritisiert und darauf hingewiesen wurde, dass schon bei etwa einem Grad Celsius Erderwärmung katastrophale Entwicklungen in Gang sind, wurde statt des 2-Grad-Ziels das 1,5-Grad-Ziel entwickelt. Die Klimaforschung fährt „auf Sicht“. Sie hat sich durch den Einfluss des Positivismus und der Unterordnung unter die ökonomischen Belange des Kapitalismus nie zu einer echten Klimawissenschaft entwickelt. Mittlerweile drückt sich das auch personell darin aus, dass eine Mehrheit im WBGU3 und der Leiter des PIK4 bürgerliche Ökonomen sind.
Auch unter Klimaforschern entwickelte sich Kritik. James Hansen (ehemaliger Leiter des Goddard-Instituts der NASA) nannte das 2-Grad-Ziel „ein Rezept für eine Katastrophe“.5 Aus Paläoklimadaten (Daten vergangener Erdzeitalter) schlussfolgerte er, dass der CO2-Gehalt unbedingt unter 350 ppm6 gehalten werden müsse. 2019 lag er bereits bei 410 ppm.
Angesichts immer alarmierenderer Forschungsergebnisse und Ereignisse wächst massenhafte Kritik und der Protest an der profitgetriebenen Zerstörung unserer Umwelt, besonders unter der Jugend der Welt. Millionen sind inzwischen aktiv geworden. Das zwingt Regierungen und internationale Konzerne – vor allem verbal – zu Zugeständnissen. Auch machen immer mehr Konzerne und Banken erneuerbare Energien und Methoden des Recyclings zum Geschäftsmodell im imperialistischen Konkurrenzkampf.
Doch das „Restbudget“ schwindet immer schneller. Um die Vereinbarkeit von kapitalistischer Ökologie und Ökonomie noch einigermaßen darzustellen, wird heute von der Klimaforschung nicht mehr von „Emissionsfreiheit“, sondern nur noch von „Klimaneutralität“ und sogenannten „Netto-Null-Emissionen“ gesprochen. Kaum ein Ölkonzern oder Autokonzern, der nicht nach eigenen Angaben bereits „klimaneutral“ ist oder es werden will. Dabei werden dann reale Einsparungen von Treibhausgasen und Projekte zur Einsparung, zum Beispiel in Form von Zertifikaten, zusammengerechnet oder nur ein Teil der konzernweiten Emissionen in die willkürliche Berechnung einbezogen. Meist sind die Projekte nicht wirklich nachvollziehbar. In der Natur gibt es aber keine klimaneutralen Treibhausgase. Emittierte Treibhausgase kann man daher nicht wegrechnen. Mit ernsthafter Wissenschaft hat ein solcher Hokuspokus im Dienste des „Greenwashing“ der Konzerne nichts mehr gemein.
Machen wir uns klar: Ohne Rücksicht auf Profitinteressen müssen die weltweiten Treibhausgasemissionen bis 2030 um 70 bis 90 Prozent reduziert werden und anschließend der CO2-Gehalt in der Atmosphäre auf 350 ppm gesenkt werden. Retten wir die Umwelt vor der Profitwirtschaft!