Rote Fahne 01/2022
Lenin – Liebknecht – Luxemburg: Selbstbewusst für den Sozialismus auf die Straße
Auch am 9. Januar 2022 gehen Zehntausende in Berlin zum Gedenken an die großen Revolutionäre Wladimir Iljitsch Lenin, Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ...
... auf die Straße und zur Gedenkstätte der Sozialisten. Diese jährlichen Höhepunkte sind eine in Europa einzigartige Manifestation für den Sozialismus. Glaubt man der neuen Ampel-Koalition, ist das ein völlig unnötiges, ja schädliches und womöglich gar „linksextremistisches“ Unterfangen. Verspricht sie doch vollmundig soziale und ökologische „Transformationen“, die den Aufbruch in den „Fortschritt“ brächten.
Allein 42-mal wird das Wort „Transformation“ im Koalitionsvertrag bemüht. „Transformation“ ist nach Wikipedia die „grundlegende Veränderung eines politischen Systems“ – jedoch nicht seine revolutionäre Überwindung durch ein neues, grundlegend anderes und besseres! Rosa Luxemburg polemisierte schon 1899 gegen reformistische Illusionen „grundlegender Veränderungen“ im Kapitalismus: „Wer sich daher für den gesetzlichen Reformweg anstatt und im Gegensatz zur Eroberung der politischen Macht (der Arbeiterklasse – Anm. d. Red.) und zur Umwälzung der Gesellschaft ausspricht, wählt tatsächlich nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern auch ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß unwesentliche Veränderungen in der alten.“1
Auch mit der 42-fachen Wiederholung des Wörtchens „Transformation“ lassen sich die Gesetzmäßigkeiten im Kapitalismus nicht weg- oder schönreden. Wieso erleben wir weltweit seit Jahren unter offen reaktionären wie sozialdemokratischen Regierungen einen systematischen Abbau sozialer und politischer Rechte? Wieso steuern wir trotz 26 UN-Umweltkonferenzen immer schneller in eine globale Umweltkatastrophe? Wieso wächst die allgemeine Kriegsgefahr? Weil die bürgerlichen Parteien vorher noch nicht auf das Wort „Transformation“ gekommen sind?
Revolution statt „Transformation“
Der Erfurter Parteitag der MLPD 2021 stellte in seiner Schlussresolution zur Weltlage fest: „Wir erleben heute die größte Labilität, die das imperialistische Weltsystem seit dem Zweiten Weltkrieg hervorgebracht hat. Die Politik des weltweit allein herrschenden internationalen Finanzkapitals läuft auf immer neue Krisen hinaus, auf wirtschaftliches Chaos, Armut, Ausbeutung und Unterdrückung der Massen, Massenmord im Mittelmeer und eine globale Umweltkatastrophe. Diese Probleme sind im Rahmen des Kapitalismus nicht lösbar, der Kapitalismus selbst hat dafür keine Lösung mehr parat. Von hier aus gibt es innerhalb des Kapitalismus auf absehbare Zeit nur noch eine Fortentwicklung zu Krieg, Faschismus oder dem Desaster der kapitalistischen Barbarei.“ Es geht um die Grundsatzfrage: Vorwärts zur internationalen sozialistischen Revolution statt Untergang in der kapitalistischen Barbarei! Der notwendige Kampf um Reformen, gegen Rechtsentwicklung, Faschismus und Krieg muss diesem Ziel dienen, Schule dafür sein!
„Revolution“ – ein Unwort für den Opportunismus
Die MLPD und ihr Jugendverband REBELL mobilisieren auch 2022 wie in jedem Jahr engagiert nach Berlin. Sie haben aber den offiziellen Aufruf zur Demonstration erstmals seit Jahren nicht unterzeichnet. Dort heißt es völlig richtig, dass in den gegenwärtigen Zeiten „der Zusammenhang von Krieg und Kapitalismus so deutlich wie lange nicht mehr“ wird. Der Aufruf kritisiert die „militärische Aggression nach außen“, die begleitet wird von „sinkendem Lebensstandard und zunehmender Repression nach innen“. Er bringt es allerdings fertig, beim Gedenken an die Revolutionäre Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg noch nicht einmal die Worte Revolution und Sozialismus zu erwähnen. Auch an die Novemberrevolution von 1918/1919, deren Anführer sie waren und weswegen sie brutal ermordet wurden, erinnert der Aufruf mit keinem Sterbenswörtchen. Auch in der Überschrift heißt es lediglich: „Gegen imperialistische Kriege! Für Frieden und Völkerverständigung!“
Aber wie sollen Frieden und Völkerverständigung erreicht werden, wenn nicht der Imperialismus bekämpft und der Sozialismus errichtet wird? Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg waren glühende Revolutionäre, wandten sich konsequent gegen jede Niederlagenstimmung, gerade angesichts von Rechtsentwicklung und Krieg. Lenin betonte mit positivem Bezug zur antimilitaristischen Arbeit von Karl Liebknecht: „Nur ein … ‚Krieg dem Krieg‘ ist sozialdemokratische Arbeit, keine Phrase. Und diese Arbeit wird die Menschheit, wie groß auch die Schwierigkeiten, zeitweiligen Niederlagen, Irrtümer, Abirrungen, Unterbrechungen sein mögen, zur siegreichen proletarischen Revolution fuhren.“2
Lenin, Liebknecht und Luxemburg bestachen durch ihren revolutionären Optimismus und ihr tiefes Vertrauen in die Arbeiterklasse, die Masse der Jugend und die Volksmassen. Sie hatten für Opportunismus nur Verachtung übrig. Lenin schrieb: „Das Wesen des Opportunismus besteht darin, die beständigen und dauernden Interessen des Proletariats seinen Pseudo- und Augenblicksinteressen zum Opfer zu bringen.“3 Das könnte auch den Autoren des LL-Aufrufs4 – vor allem aus dem revisionistischen5 Spektrum um die Führung von DKP und der „Kommunistischen Plattform“ (KPF) der Linkspartei – ins Stammbuch geschrieben sein. Ihr ganzes Weltbild ist im Gegensatz zu vielen ihrer Mitglieder von Niederlagenstimmung und Skepsis gegenüber den Massen bestimmt, nach dem Niedergang des von ihnen geliebten revisionistischen Lagers herrscht immer noch Katzenjammer. Kein einziges Wort findet sich in dem Aufruf zur Arbeiterbewegung oder zu aktuellen Kämpfen der Massen, die gerade im letzten Jahr international in Kolumbien oder Indien größte Bedeutung und Ausstrahlung hatten.
Sicherlich wird der fortschrittliche Stimmungsumschwung in Deutschland nach dem Antritt der neuen Regierung teilweise und zeitweilig überlagert. Aber das erwachende gewerkschaftliche Bewusstsein besonders in verschiedenen Konzernbetrieben bleibt Tatsache. Die Opel-Belegschaften konnten fürs Erste erfolgreich die geplante Schließung des Eisenacher Werks verhindern. Konzernweit streikten mehrfach Kolleginnen und Kollegen von Airbus für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze. Auch die Jugendrebellion zeigt sich im Umweltkampf, in der antifaschistischen Bewegung, der internationalistischen Flüchtlingssolidarität und im Kampf gegen reaktionäre Polizei- und Versammlungsgesetze. Dort hat sich in den letzten Jahren eine kapitalismuskritische Tendenz entwickelt – trotz oder gerade wegen der bewussten Auseinandersetzung mit der üblen antikommunistischen Hetze des neuartigen Liquidatorentums mit dem einzigen und gescheiterten Ziel, die MLPD „hinauszusäubern“.
Kennzeichnend ist momentan in Deutschland unter den Massen eine Phase der Orientierung und Verarbeitung der neuen Regierung – sie verlangt aber gerade größte Klarheit und vor allem Perspektive über das krisenhafte kapitalistische System hinaus.
Gegen jeden Imperialismus!
Es ist unbedingt notwendig, den US-Imperialismus als Kriegstreiber Nummer eins anzugreifen, wie es die MLPD macht. Aber wieso wird im LL-Aufruf kein einziges kritisches Wort zum EU-Imperialismus oder zum aggressiven Kurs des neuimperialistischen China und Russland verloren? Ellen Brombacher von der KPF Berlin und ein DKP-Vertreter verstiegen sich auf dem LL-Bündnistreffen am 13. Dezember zu der These, „das letzte, was Russland nach der Erfahrung der beiden Weltkriege wollte, wäre ein Krieg“. China und Russland hätten „viel mit der deutschen Friedensbewegung gemein bei den Bemühungen, einen Krieg zu vermeiden“.
Es ist skandalös, wie in der westlichen Propaganda der hohe Blutzoll der Sowjetunion mit fast 27 Millionen getöteten Menschen ignoriert oder gar herabgewürdigt wird. Aber ihre Würdigung bedeutet noch lange nicht, Putin zu huldigen! Mit der gleichen absurden Argumentation hätte man nach dem I. Weltkrieg behaupten können, dass Deutschland angesichts von 2,7 Millionen Kriegstoten niemals nach einem neuen Weltkrieg streben würde. Wie friedliebend sind denn die gewaltsame Einverleibung der Halbinsel Krim und der massive Truppenaufmarsch an der ostukrainischen Grenze? China als ökonomische Supermacht provoziert selbst kriegerische Konflikte und bereitet imperialistische Kriege vor, so gegenüber Taiwan und im südchinesischen Meer.
Eine Streitschrift gegen den Opportunismus
„Pünktlich“ zu den Lenin-Liebknecht-Luxemburg-Aktivitäten erscheint das Buch „Die Krise der bürgerlichen Ideologie und des Opportunismus“ von Stefan Engel. Im Vorwort heißt es: „Der Opportunismus soll die Arbeiter- und die Volksbewegung vom Klassenkampf und vom wissenschaftlichen Sozialismus abbringen. Er nimmt schädlichen Einfluss auf Teile der internationalen revolutionären und Arbeiterbewegung. Jeder politisch denkende und verantwortlich handelnde Mensch muss sich heute die Frage stellen, wie er zu dem weltumspannenden kapitalistischen System steht. Neben aberwitzigem Reichtum produziert es millionenfaches Elend und setzt die Lebensgrundlagen der Menschheit aufs Spiel. Heult man da mit den Wölfen und beerdigt endgültig den Traum von einer befreiten Gesellschaft, nur weil der Sozialismus durch den revisionistischen Verrat in der Sowjetunion oder in China eine zeitweilige Niederlage hinnehmen musste? Oder verhilft man dem gigantischen Fortschritt wissenschaftlicher Erkenntnisse und praktischer Errungenschaften in der gesellschaftlichen Produktion zum Durchbruch gegen den Sog von Pragmatismus und Opportunismus und schließt sich der notwendigen revolutionären Umwälzung der Gesellschaft an?“
Es ist wichtig, in Aktionseinheiten und Demonstrationen wie bei LLL oder im Kampf gegen die Rechtsentwicklung der Regierung in einem breiten Bündnis auf die Straße zu gehen. Polemik gegen den Opportunismus ist dabei keine Nestbeschmutzerei, sondern notwendig. Nur auf Grundlage der Dialektik „von Einheit im gemeinsamen Kampf und Bewahrung der weltanschaulichen und politischen Selbständigkeit … kann sich der fortschrittliche Stimmungsumschwung zu einem gesellschaftsverändernden Kampf höherentwickeln“, wie es in der Schlussbemerkung des neuen Buches heißt. Es gehört in die Hand aller, die in der Tradition von Lenin, Liebknecht und Luxemburg stehen!