Rote Fahne 06/2022

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Was es mit Putins besonderem Antikommunismus auf sich hat

Der russische Präsident Wladimir Putin und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyi überbieten sich regelrecht in ihrem Kampf gegen Kommunismus

Von (us)
Was es mit Putins besonderem Antikommunismus auf sich hat
Bergleute im Donbass, Postkarte von 1945 – aus dem Buch: Lehren aus dem sozialistischen Aufbau in der Sowjetunion. Foto: gemeinfrei

1320 Lenin-Denkmäler wurden in der Ukraine alleine im Jahr 2016 abgerissen, 51 500 Straßen wurden umbenannt, marxistisch-leninistische Symbole sind verboten. Putin steht der Befeuerung des Antikommunismus in nichts nach. Er schaffte 2005 den gesetzlichen Feiertag zum Gedenken an die Oktoberrevolution ab. Putin ist kein Kommunist und war es auch nie. Er unterdrückt Marxisten-Leninisten und die Arbeiterbewegung brutal. In seiner Grundsatzrede am 21. Februar sagte er an die ukrainische Führung gerichtet: „Sie wollen Entkommunisierung? … Nun für uns ist das vollkommen in Ordnung. Aber sie sollten nicht, wie man schön sagt, auf halbem Weg stehen bleiben.“

 

In den bürgerlichen Medien wird Putin aber nicht als Antikommunist behandelt. Vielmehr wird suggeriert, sein Regime stünde doch irgendwie in der Nähe zum Kommunismus beziehungsweise stünde in der Tradition der sozialistischen Sowjetunion.

 

Antikommunistische Geschichtsklitterung

 

In seiner Grundsatzrede rechtfertigte Putin den Überfall auf die Ukraine mit angeblich grundsätzlichen Fehlern in der Nationalitätenpolitik von Lenin und Stalin. Er behauptet, „dass die moderne Ukraine vollständig von Russland geschaffen wurde, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland. Dieser Prozess begann fast unmittelbar nach der Revolution von 1917, und Lenin und seine Mitstreiter taten das auf sehr grobe Weise mit Russland selbst – durch Sezession, indem sie Teile seiner eigenen historischen Territorien abtrennten.“ Nachträgliche Geschichtsklitterung ist typisch für jeden Antikommunismus.

 

Erstens sei festgehalten, dass Nationen und Völker nicht per Regierungsbeschluss geschaffen oder abgeschafft werden. Sie bilden sich zumeist über Jahrhunderte als stabile Gemeinschaft von Menschen mit gemeinsamer Sprache und Kultur, Gebiet und Wirtschaftsleben heraus. Oder sie verschmelzen in einem ebenfalls länger währenden Prozess mit anderen Nationen, lösen sich als eigenständige auf.

 

Zweitens war es das sozialistische Russland unter Lenin, das dem ukrainischen Volk erstmals das Selbstbestimmungsrecht gab. Nur gut eineinhalb Monate nach der Oktoberrevolution und noch während des I. Weltkriegs, am 11. Dezember 1917, wurden die zaristischen Kolonien befreit und unter anderem die erste ukrainische Sowjetrepublik gegründet. Lenin: „Wir fordern das Selbstbestimmungsrecht, das heißt die Unabhängigkeit, das heißt die Freiheit der Separation der unterdrückten Nationen, nicht deshalb, weil wir von der wirtschaftlichen Zerstückelung oder vom Ideal der Kleinstaaten träumen, sondern im Gegenteil, weil wir Großstaaten und die Annäherung, ja die Verschmelzung der Nationen wünschen, aber auf wahrhaft demokratischer, wahrhaft internationalistischer Grundlage, die ohne die Freiheit der Separation undenkbar ist.“ (Aus Lenin „Das revolutionäre Proletariat und das Selbstbestimmungsrecht der Nationen“, Lenin, Werke, Bd. 21, S. 420 / 421).

 

Selbstbestimmungsrecht als Prinzip

 

Das war keine „Grobheit“ gegenüber den Interessen der russischen Arbeiterklasse und Volksmassen, wie Putin es behauptet, sondern vorbildlicher proletarischer Internationalismus. Dieser stellte die gemeinsamen Klasseninteressen der ukrainischen und russischen Arbeiter, die Errichtung der Diktatur des Proletariats zur Niederhaltung der Ausbeuterklasse über die nationale Frage. Überreste des russischen Chauvinismus und Imperialismus, die zweifellos unter einem Teil der Arbeiter und vor allem der Bauern noch wirkten, wurden überzeugend und zugleich energisch bekämpft.

 

Offensichtlich war Putin sich durchaus bewusst, dass seine oben erwähnte Attacke auf das sozialistische Prinzip des Selbstbestimmungsrechts bei vielen Menschen (nicht nur) in Russland auf Ablehnung treffen wird. Etwas später versteigt er sich in seiner Rede zu der Behauptung: „In Wirklichkeit hatten die Unionsrepubliken keinerlei Souveränitätsrechte, diese Rechte existierten einfach nicht.“ Er diffamiert mit klarem Bezug auf die Zeit von Lenin und Stalin die Sowjetunion als ein „streng zentralisierter, völlig einheitlicher Staat“.

 

Ganz im Gegensatz zu heutigen russischen imperialistischen Großmachtplänen und der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim war die sozialistische Sowjetunion ein freiwilliger Zusammenschluss verschiedener Volksrepubliken. Selbstständige Republiken, die zugleich zusammengeschlossen waren in einem sozialistischen Staatenbund der Sowjetunion zum gegenseitigen Nutzen – das ist für Putin natürlich unvorstellbar. Denn Raubkriege und Bedrohung anderer Völker gehören zu den Wesensmerkmalen des Imperialismus.

 

„Gib Antikommunismus keine Chance!“ gegenüber jeder seiner Varianten – egal ob russischer, ukrainischer oder westlicher Couleur. Das ist ein wichtiges Merkmal der neuen Friedensbewegung gegen die Weltkriegsgefahr, die es aufzubauen gilt.