Rote Fahne 08/2022

Rote Fahne 08/2022

„So ein Krieg muss verhindert werden“

Der 1933 geborene Essener Hans Schmitt war sein Leben lang Schlosser bei Krupp in Essen. Angesichts der akuten Gefahr eines erneuten Weltkriegs berichtet er, was der II. Weltkrieg real für das Leben der Menschen bedeutete

Von Essen (Korrespondenz)
„So ein Krieg muss verhindert werden“
Hans Schmitt mit seiner Frau Dagmar bei einer Feier, Foto: RF

Wir Kinder wurden im Krieg 1942 weggeschickt. Jeder von uns drei Geschwistern kam in ein anderes Dorf im Allgäu, ich in das eine, mein Bruder und meine Schwester jeweils noch ein Dorf weiter. Meine Schwester war damals elf Jahre, ich neun und mein kleiner Bruder erst fünf. Als wir 1945 nach zweieinhalb Jahren zurück nach Essen sollten, wollte mein kleiner Bruder das nicht.

 

Er hat es meiner Mutter nie verziehen, dass sie ihn weggeben hatte. Aber der Vater musste weiter in den Betrieb und mit ihm blieb die Mutter in Essen. Viele Familien wurden durch den Krieg richtig auseinandergerissen.

 

Ich selbst wäre ohne meine Mutter tot. Ich war so müde von dem ständigen Fliegeralarm, dem Dröhnen der Bomben, dass ich zwar aufgestanden bin, als meine Mutter mich weckte, aber ich war nicht wach. Sie zog mich an, aber als sie mit uns in den Bunker wollte, lag ich wieder im Bett. Sie hat mich dann wieder aus dem Bett geholt und wir sind in den Bunker. Wenn die Bomben fielen, warf das solche Krater auf und Erde flog überall herum, dass die Türen der Bunker oft nicht wieder aufgingen. 


Auch im Allgäu hörten wir teilweise von Bomben auf das Ruhrgebiet und hofften nur, dass die Eltern noch leben.

 

Üble Misshandlung von Zwangsarbeitern

 

Die Hitler-Faschisten waren so ein furchtbares, brutales Pack. Ich erinnere mich noch an die schrecklichen Ereignisse, welche ich als acht- bis neunjähriges Kind noch in Essen erlebt habe:

 

Unsere Familie wohnte in der Curtiusstraße, der heutigen Niebuhrstraße. Abends wurden die total geschwächten, unterernährten russischen Zwangsarbeiter nur mit Lappen an den Füßen in großen Reihen von den Kruppschen Fabriken kommend durch die Straße getrieben in das Lager an der Raumerstraße.

 

Darunter waren vielfach Jugendliche und alle waren Kriegsgefangene. Sie hatten fast nichts zu Essen und keine Kraft, auch nicht um auszubrechen. Wer sich von den Zwangsarbeitern nicht mehr auf den Beinen halten konnte, wurde von dem Wachpersonal mit dem Gewehrkolben traktiert. Wer liegen blieb – ob tot oder noch lebendig – musste von den eigenen Landsleuten auf Karren gehoben werden, und diese mussten sie dann auch – schwach wie sie waren – selber ziehen. Von diesen abscheulichen Verbrechen wird heute in den Schulen nichts berichtet.

 

„Vögelkes“ erinnern an internationalistische Solidarität

 

Mein Vater hat während des Krieges in der Gießerei von Krupp gearbeitet. Es wurden ihm russische Zwangsarbeiter zugeteilt. Die Arbeit war sehr schwer und kräftezehrend. Der Vater brachte oft einen ganzen Brotlaib, von der Mutter belegt, mit in die Fabrik und gab diesen an seine russischen Kollegen ab. Das tat er unter Lebensgefahr, denn wäre er erwischt worden, wäre er dafür ins Konzentrationslager gekommen.

 

Denn für meine Eltern spielten Herkunft und Religion keine Rolle, so bin ich erzogen worden und habe deshalb immer mit allen Kindern gespielt. Genützt haben Mutters Brote nicht viel, weil es zu wenig war. Aber fast alle nahmen dies gerne an. Nur ein paar wenige hatten einen falschen Stolz und lehnten ab. Die anderen schnitzten als Dank kleine bemalte Vögelchen aus Holzscheiten. Ich erinnere mich daran: in unserer Küche an der Lampe, von der Decke herunter, am Schrank – überall „flogen“ die bunten „Vögelkes“ und wir Kinder hatten große Freude daran.

 

Der Jugend will ich mit auf den Weg geben, dass sie andere Menschen respektieren. So ein Krieg muss verhindert werden – wir brauchen eine Perspektive.