Rote Fahne 11/2022
Erhalt der Arbeitsplätze und Qualifizierung auf Kosten der Profite
Bei der Umstellung auf E-Mobilität und Digitalisierung in der Automobilindustrie ist die Qualifizierung der Beschäftigten eine wichtige Frage
Zu den Auswirkungen der Elektromobilität auf die Beschäftigten heißt es in einer Studie der Denkfabrik Agora Verkehrswende und Boston Consulting Group: „Für fast die Hälfte der heute rund 1,7 Millionen Stellen … ändere sich das Berufsbild. Bei einer halben Million Arbeitnehmern bestehe Weiterbildungsbedarf.“1 Deshalb fordert die IG Metall größere Anstrengungen bei der Qualifizierung der Menschen durch Automobilindustrie und Staat.
Die Auto- und Zulieferkonzerne sind gerade dabei, die PKW-Produktion auf den elektrischen Antriebsstrang umzustellen. Dazu müssen massenhaft Arbeiter für die Hochvolt-Technologie oder veränderte Diagnostik qualifiziert werden. Das hat auch Auswirkungen auf die Ausbildung. So bietet MAN Truck & Bus in Nürnberg „keine Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker und Mechatroniker an, (neu) dafür aber Elektroniker für Automatisierungstechnik“.2 Weiter sollen neue Berufe, in denen ein großes Spezialwissen benötigt wird, wie Software- / Systementwickler, Data Analysten oder IT-Spezialisten durch die technische Intelligenz besetzt werden.
Vor diesem Hintergrund bekommt der Kampf um eine gründliche Ausbildung beziehungsweise Umschulung der Arbeiter und Angestellten auf Kosten der Profite eine größere Bedeutung. Nach Karl Marx ist das „Geschick und die Fertigkeit in einem bestimmten Arbeitszweig“ Bestandteil der „spezifischen Arbeitskraft“ der Arbeiter, die seinen Wert bestimmt.3 Dennoch muss der Kampf um jeden Arbeits- und Ausbildungsplatz weiterhin im Zentrum der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung stehen. Denn die Einführung der E-Mobilität und Digitalisierung führt im Kapitalismus zu tiefen Strukturkrisen.
Kampf um jeden Arbeitsplatz
Nach den dramatischen Prognosen bürgerlicher Wirtschaftsinstitute, dass allein die E-Mobilität in der Automobilindustrie bis 2040 an die 600 000 Arbeitsplätze kosten könnte4 – jetzt die Entwarnung, dass nahezu gleichviel neue Jobs entstehen. Doch der europäische Verband der Automobilzulieferer kam für seine Branche zum Schluss: „Unterm Strich verbleibt ein Nettoverlust von 275 000 Arbeitsplätzen.“ 5
Denn die Monopole wollen den mit der E-Mobilität und Digitalisierung verbundenen Produktivitätsfortschritt allein für die Profitmaximierung nutzen. Deshalb hält der Mercedes-Vorstand an seinem Ziel fest, 19 000 Arbeitsplätze abzubauen. Weil die IG Metall-Führung vor dem Kampf um die allseitigen ökonomischen, sozialen und politischen Interessen der Arbeiterklasse kapituliert, beschränkt sie sich auf lendenlahme Forderungen zur Qualifizierung. Auch dabei steht das Interesse der Konzerne an optimal ausgebildeten und trotzdem flexiblen und möglichst billigen Arbeitskräften im Zentrum. So wird im Tarifvertrag zur Qualifizierung6 „die Frage der Qualifizierung und das lebenslange Lernen (als) ein Schlüssel für die Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe (und) der Sicherung der Arbeitsplätze“ bestimmt. Demnach werden nur solche Maßnahmen genehmigt, die sich für die Firma rechnen. So sollen die „vereinbarten Qualifizierungsmaßnahmen unter Berücksichtigung der betrieblichen Prioritäten“ erfolgen. Und das nur „nach Möglichkeit“.
Keine Bezahlung aus Steuergeldern
Der Vertrag enthält außerdem die Klausel, dass die Bezahlung der Maßnahmen „von Dritten übernommen“ werden kann. Dazu wurden auf diversen Autogipfeln und „Transformationsdialogen“ von VDA7, Regierung und IG Metall verschiedene Instrumente entwickelt, mit denen die Qualifizierungskosten auf die Gesellschaft abgewälzt werden sollen. So hat Continental, einer der größten internationalen Autozulieferer, mit CITT8 eine spezielle Gesellschaft gegründet, bei der derzeit 2500 Beschäftigte ausgebildet werden.
Die Bundesagentur für Arbeit bezahlt 25 Prozent des Arbeitsentgelts in der Weiterbildungszeit und 100 Prozent bei den Teilnehmern ohne Berufsabschluss.9 Ähnlich ist es auch mit der Forderung der Gewerkschaften nach einem „Transformationskurzarbeitergeld“, das auf der To-do-Liste der neuen Bundesregierung steht. Dieses soll „Unternehmen im Strukturwandel ermöglichen, ihre Beschäftigten durch Qualifizierung im Betrieb zu halten“10, bezahlt von unseren Steuergeldern und Sozialbeiträgen.
Andere Monopolvertreter lehnen das ab, weil es nicht darum gehe könne, „jemanden im Betrieb zu halten, für den es eben keine Perspektive gibt“11. Das macht unfreiwillig deutlich, dass die genannten Maßnahmen neben der Abdämpfung der Klassenwidersprüche auch der Verschleierung der tatsächlichen Arbeitsplatzvernichtung dienen sollen.
Die Verteidigung und Schaffung von Arbeitsplätzen, sowie die Aus- und Weiterbildung können deshalb nur in der Kritik an der Lüge von der „sozial-ökologischen Transformation“ und in hart geführten gewerkschaftlichen und selbständigen Kämpfen durchgesetzt werden.