Rote Fahne 12/2022

Rote Fahne 12/2022

Haarsträubend: „Kulturelle Aneignung“ auf der FFF-Demo?

Kopfschüttelnd las man kürzlich von diesem Vorfall: Kurz vor der Großdemonstration der „Fridays for Future“-Bewegung (FFF) am 25. März in Hannover wurde eine Musikerin vom Orga-Team wieder ausgeladen: Sie hatte eine Dreadlock-Frisur. Was war da los?

Von Aschaffenburg (Korrespondenz)
Haarsträubend: „Kulturelle Aneignung“ auf der FFF-Demo?
Dreadlocks: Nur etwas für „People of Colour“? Ein klares Nein! Foto: camilo castro / CC BY-NC-SA 2.0

Die Haare im Stil der unterdrückten Bevölkerungsteile afrikanischer Abstammung zu tragen, stünde nur „People of Colour“ zu – so hieß es. Würde sie allerdings ihre Haare abschneiden, sei das ein Zeichen gegen die sogenannte „kulturelle Aneignung“. Die betroffene Musikerin beugte sich nicht diesen absurden Vorwürfen und machte den Fall umgehend öffentlich. Sie begründete, dass sie diese Frisur – ein Symbol des schwarzen Widerstands – aus Solidarität und als Ausdruck ihrer tiefen Verbundenheit zu dieser Bewegung trage. Zu Recht, denn das prägt ja auch die Geschichte der Menschheit, die seit jeher einen kulturellen Austausch pflegt, einschließlich ihrer Kultur des Widerstandes, die sich in ihren Kämpfen entwickelt.

 

Die Theorie der „kulturellen Aneignung“ speist sich aus dem pseudofortschrittlichen „Kampf gegen die Diktatur des Normalen“ und ist besonders unter Teilen der intellektuellen Linken verbreitet. Diese Leute sehen das Hauptpro­blem unserer Gesellschaft heute nicht in der Ausbeutung und Unterdrückung durch die kapitalistische Klassengesellschaft, sondern im „Rassismus und Sexismus der vor allem patriarchal geprägten Gesellschaft“. Als müsste man den Rassismus einfach nur aus den Köpfen kriegen, als würde er sich nur in Äußerlichkeiten oder in der Sprache ausdrücken. Dass der Rassismus ein Wesensmerkmal des Kapitalismus ist, bleibt da außen vor.

 

Tatsächlich ist die „kulturelle Aneignung“ fortschrittlicher Kultur ein Kennzeichen des kapitalistischen Kulturbetriebs: Kapitalistische Medienkonzerne verdrehen und vereinnahmen ursprünglich fortschrittliche und rebellische Jugendkulturen wie zum Beispiel die Hiphop-Kultur, um sie in reaktionäre und ungefährliche Bahnen zu lenken und sie damit zur profitablen Ware zu machen.

 

Die im wortwörtlichen Sinn haarsträubende Theorie des FFF-Orga-Teams von der „kulturellen Aneignung“ durch eine fortschrittliche Musikerin ist auch Ausdruck einer idealistischen Wunschvorstellung kleinbürgerlicher Intellektueller, wonach man sich „befreite urbane Räume“ schaffen müsse. Sie träumen davon, der zunehmenden Krisenhaftigkeit des Kapitalismus mit spektakulären Aktionen wie Hausbesetzungen oder der Schaffung von Subkulturen zu begegnen. Fortschrittlich sind dann nicht die Arbeitermassen – die ja auch zu den bekämpfenswerten „Normalen“ gehören – sondern nur die Anhänger der eigenen Subkultur. Die sich dann auch ganz spießig mit dem angebracht „voguen“ Look und der korrekt „gegenderten“ Sprache ausweisen müssen. Die herrschenden Verhältnisse können ruhig unangetastet bleiben.

 

Wirklich rebellisch ist es, klare Kante gegen reaktionäre und oberflächliche Kultur zu zeigen und eine vielseitige, fortschrittliche, rebellische beziehungsweise revolutionäre Kultur von und für die Massen zu fördern.