Rote Fahne 14/2022
Ein notwendiger Klärungsprozess im Aufbau einer neuen Friedensbewegung
Der Angriff des neuimperialistischen Russland auf die Ukraine hat heftige Diskussionen in der Friedensbewegung ausgelöst
Die meisten Friedenskämpfer waren schockiert über das brutale Vorgehen Russlands genauso wie über die nationalistischen und antikommunistischen Rechtfertigungen Putins. Für die meisten war klar: Dieser Angriff muss verurteilt werden, wir müssen dagegen auf die Straße gehen. Sofortige Beendigung dieses Krieges, Rückzug der russischen Truppen aus der Ukraine!
Genauso schockiert reagierten viele dann auf die „Zeitenwende-Rede“ von Bundeskanzler Scholz und erst recht auf die folgenden Zielsetzungen der NATO: Russland zu besiegen und „nachhaltig“ zu schwächen. Es war klar: Wir lehnen diese nie dagewesene Aufrüstung und den damit einhergehenden aggressiven Kurs der NATO ab. Viele sahen auch die Gefahr eines Aufeinandertreffens der großen Machtblöcke und damit eines Dritten Weltkrieges, der dann mit großer Wahrscheinlichkeit auch atomar geführt würde. Nie war die Situation so brisant. Sie ist erheblich ernster als zu den Zeiten des Kampfes gegen die Stationierung der Mittelstreckenraketen in den 1980er-Jahren, als Millionen auf die Straße gingen. Aber warum ist das heute (noch) nicht so?
Ein notwendiger Verarbeitungsprozess
Ein wichtiger Grund liegt darin, dass viele Menschen erst einmal fertig werden müssen mit dem, was da in rasantem Tempo vor sich gegangen ist: SPD und Grüne sind offen auf Kriegskurs übergegangen. Die Grünen waren Vorreiter bei den Forderungen nach Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine. Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil forderte in einer Grundsatzrede auf einer Konferenz der Friedrich-Ebert-Stiftung: „Friedenspolitik bedeutet deshalb für mich, auch militärische Gewalt als Mittel der Politik zu sehen.“ Bundeskanzler Olaf Scholz brüstet sich bereits damit, dass Deutschland bald die schlagkräftigste Streitkraft in Europa haben wird.1
Das sind offen sozialchauvinistische Positionen. Letzten Endes geht es darum, die Massen für einen imperialistischen Krieg zu gewinnen.
Die DKP ist völlig gespalten: Viele Mitglieder lehnen den Angriff Russlands ab. Dagegen unterstützte die DKP-Führung zu Anfang offen die sogenannte „militärische Spezialoperation“. Teilweise wird argumentiert, Putin sei einem Angriff des Westens zuvorgekommen. Inzwischen wird Russlands Krieg gegen die Ukraine mitunter regelrecht verschwiegen und werden nur noch die Aufrüstung des Westens und die sozialen Folgen angegriffen.
Eiertanz der Linkspartei-Führung
Völlig hin- und hergerissen ist die Partei „Die Linke“. Viele ihrer Mitglieder setzen sich aktiv für eine neue Friedensbewegung gegen alle Kriegstreiber ein. In einem Antrag von Özlem Demirel für den Parteitag hieß es zum Beispiel eindeutig: „Dieser Krieg … ist ein Machtkampf zwischen der NATO … auf der einen und Russland auf der anderen Seite. (Er) verdeutlicht, dass die innerimperialistischen Widersprüche wachsen …“ 43 Prozent der Delegierten stimmten für diesen Antrag.
Der Leitantrag des Parteivorstandes, der letzten Endes angenommen wurde, stellte fest: „Es wird deutlich, dass Russland eine imperialistische Politik verfolgt.“ Es wird „ein vollständiger Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine“ gefordert. Dies klingt eindeutig. Aber wo bleibt die Selbstkritik des Parteivorstands, der dasselbe Russland unter Führung Putins lange Zeit als „Friedensmacht“ hochgejubelt hat? Fehlanzeige!
Noch vager sind allerdings die Charakterisierungen der Politik des „Westens“: Die massive Aufrüstung wird kritisiert. Diese schaffe keinen Frieden, gaukle nur Sicherheit vor. Sie verschlinge Mittel, die für soziale und ökologische Zwecke gebraucht würden. Die NATO werte „geostrategische Fragen höher … als demokratische Werte“. Die Linkspartei fordert eine „neue Friedensordnung“, deren Kern eine „demokratisierte UNO“ und ein System „kollektiver Sicherheit“ … „in einer Zeit mit mehreren Großmächten“ sein soll. Eine unglaubliche Verharmlosung der Situation und eine gefährliche Verbreitung von Illusionen: Das imperialistische Weltsystem, das keine einzige der sozialen und ökologischen Zukunftsfragen zu lösen in der Lage ist und seinen Ausweg nun in der Vorbereitung eines Dritten Weltkrieges sucht, soll zu einem „System kollektiver Sicherheit“ in der Lage sein?
Von der Verharmlosung ist es dann nicht mehr weit zum Übergang in den Sozialchauvinismus. Zur Stärkung des deutschen Militärs fordert die Resolution: „Wir wollen die Bundeswehr auf die Landesverteidigung beschränken.“ Und Bodo Ramelow meint, er könne sich der Lieferung schwerer Waffen in die Ukraine nicht verschließen.
Die Entwicklung einer neuen Friedensbewegung und des aktiven Widerstandes gegen die Weltkriegsgefahr muss also einhergehen mit einer tiefgehenden Diskussion und Klärung all dieser Fragen unter den Friedenskämpfern.