Rote Fahne 15/2022

Rote Fahne 15/2022

Preise gehen durch die Decke – Lohnnachschlag JETZT!

Die historisch hohe Inflation reißt große Löcher in die Haushaltskassen der Arbeiterfamilien und breiten Massen.

Von (gp / ms)
Preise gehen durch die Decke – Lohnnachschlag JETZT!

Selbst die bürgerlichen Medien und Politiker beklagen die nach offiziellen Zahlen im Juni bei 7,6 Prozent liegende Inflation. Wir haben nachgerechnet – vom Arbeiterstandpunkt aus! In Wirklichkeit liegt die reale Inflation für eine vierköpfige Arbeiterfamilie mit Auto inzwischen bei sage und schreibe über 20 Prozent.1 Deshalb: Wir Arbeiterinnen und Arbeiter müssen unsere eigene Rechnung aufmachen. Die Diskussion um Lohnnachschlag ist zum Massenthema in vielen Betrieben geworden. Das trifft den Nagel auf den Kopf! Erste Forderungen sind aufgestellt, erste Kampfmaßnahmen wurden ergriffen. Die Kolleginnen und Kollegen stehen vor der Herausforderung, zur Durchsetzung solcher Forderungen von gewerkschaftlichen Aktivitäten zu selbständigen Streiks überzugehen – sie vorzubereiten, auszulösen und höherzuentwickeln. Das muss eng zusammenkommen mit offensiv geführten Tarifrunden und dem aktiven Widerstand gegen die akute Gefahr eines Dritten Weltkriegs.

 

Von den „Entlastungspaketen“ der Regierung in Höhe von bislang 29 Milliarden Euro sind lediglich 2 Milliarden bei „einkommensarmen“ Menschen angekommen. Die verschiedenen Einmalzahlungen waren durch die Inflation aufgefressen, „noch bevor diese überhaupt ausgezahlt wurden“.2 Dass die offizielle Inflationsrate nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat, spürt jeder beim Einkauf. Zur Berechnung der Inflationsrate wird vom Statistischen Bundesamt ein fiktiver „Warenkorb“ mit 650 Waren und Dienstleistungen  eines „Durchschnittshaushalts“ (zwei Personen) zugrunde gelegt. Der Warenkorb wird alle fünf Jahre angepasst und soll den Anschein von Objektivität erwecken: „Mit ‚Warenkorb‘ ist in der Preisstatistik die Güterauswahl gemeint, die sämtliche Waren und Dienstleistungen ... repräsentiert.“3 Tatsächlich gibt es in der kapitalistischen Klassengesellschaft aber keine für alle Menschen gleich geltende „Güterauswahl“. Der Anteil von Brillantringen, Luxusautos oder Immobilienkäufen an den Gesamtausgaben ist nun mal bei Angehörigen der herrschenden Klasse oder gehobener kleinbürgerlicher Zwischenschichten wesentlich größer als bei Arbeiterfamilien. Bei denen fallen dafür Lebensmittel, Mieten und Fahrtkosten viel mehr ins Gewicht.

 

Über die verzerrte Gewichtung der Warengruppen verschleiert die amtliche Statistik systematisch die reale Inflation für Arbeiterfamilien. Werden Lebensmittel von ihr im „Warenkorb“ mit 9,7 Prozent gewichtet, beträgt ihr realer Anteil für einen Arbeiterhaushalt nach Berechnungen der GSA4 25 Prozent. Bei Kraftstoffen sind es 15 statt 2,5 Prozent, bei Mieten inklusive Nebenkosten 35 statt 20,7 Prozent, bei Heizöl 10 statt 7 Prozent. Da wirken sich die ohnehin besonders hohen Preissteigerungen in diesen Bereichen natürlich ganz anders aus. Mit der realen Gewichtung kommt man auf eine tatsächliche Inflationsrate von 20,92 Prozent für Arbeiterfamilien mit vier Personen und Auto! (siehe Tabelle auf Seite 16)

 

Rekordarmut trotz Rekordreichtum

 

Der aktuelle Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes meldet schon für das letzte Jahr – also noch vor den Rekordwerten der Inflation – einen Höchststand der Armutsquote von 16,6 Prozent bezogen auf die Gesamtbevölkerung. Es gibt einen ungewöhnlichen Zuwachs unter Erwerbstätigen, die trotz Arbeit nicht mehr genug zum Leben haben.5 Gleichzeitig steigerten die 30 im Deutschen Aktienindex (DAX) gelisteten Konzerne ihre offiziellen Gewinne im ersten Quartal um durchschnittlich 21 Prozent – ebenfalls ein neues Rekordniveau.6 Und das mitten in der anhaltenden Weltwirtschafts- und -finanzkrise. Von Neuem entfaltet sich durch die gesamte krisenhafte Entwicklung des Imperialismus eine Massendebatte über das kapitalistische System, in dem die fortschrittlichen Produktivkräfte nicht zur Erhöhung der Lebensqualität bei schonendem Umgang mit der Natur eingesetzt werden, sondern sich unter dem Diktat der Profitmaximierung in Destruktivkräfte verwandeln. So sind die weltweiten Ausgaben für Militär und Rüstung auf die unvorstellbare Rekordsumme von 2,1 Billionen US-Dollar gewachsen.

 

Ganz anders im Sozialismus, wo durch die Abschaffung der Lohnarbeit und die Errichtung der Diktatur des Proletariats der gesellschaftlich produzierte Reichtum auch der ganzen Gesellschaft und der Natur zugutekommt. So wurden in China nach der revolutionären Befreiung von 1949 energische Maßnahmen gegen die bis dahin grassierende Inflation ergriffen. In der Broschüre „Warum China keine Inflation kennt“ von 1976 wird berichtet: „1953 wurde festgelegt, daß der Staat von den Bauern das Getreide zentral ankauft und es zentral verkauft. Um den Bauern mehr Einkommen zu sichern, hat der Staat den Getreideankaufspreis mehrmals erhöht, während der Kleinhandelspreis in den Städten im wesentlichen nicht geändert wurde.“7 Im Gegensatz dazu hat das heutige kapitalistische und neuimperialistische China mit einer steigenden Inflation von offiziell 2,5 Prozent im Juni 2022 zu kämpfen, nachdem sie 2021 noch bei 0,85 Prozent lag.8 Das widerlegt auch das Märchen von der Überlegenheit der kapitalistischen „Marktwirtschaft“ gegenüber der sozialistischen Planwirtschaft, in der die Produktion planmäßig entsprechend der Bedürfnisse von Menschen und Natur entwickelt wird.

 

Eine Bewegung entwickelt sich

 

Angesichts der steigenden und langanhaltenden Inflation beginnt sich in den letzten Wochen und Monaten eine Bewegung für den Kampf um höhere Löhne zu entwickeln – mit zunehmend selbständigen Elementen. So blockierten die Stahlarbeiter bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE) in Duisburg während ihres Warnstreiks die Tore. Über Lohnnachschlag wird in vielen Betrieben massenhaft diskutiert. Erste Forderungen werden aufgestellt, wie die nach 500 Euro
im Monat bei VW in Kassel. Auf einer spontanen Versammlung während der Arbeitszeit im Anschluss an eine Betriebsversammlung haben bei Opel Bochum am 7. Juli  rund 40 Kolleginnen und Kollegen einstimmig folgende Erklärung verabschiedet: „Seit 2018 werden wir zu Lohnverzicht gezwungen. … Das wollen wir nicht länger akzeptieren!“ Sie fordern einen Lohnnachschlag, um ihre Lohnverluste seit 2018 auszugleichen, die volle Durchsetzung der tariflichen Lohnforderung, keine Flexibilisierung der Arbeitszeit und keine Verschiebung der Tariferhöhung. Ausdrücklich lehnen sie einen Verzicht unter dem Vorwand von Ukrainekrieg, Corona-Pandemie oder Wirtschaftskrise ab!

 

Lohnnachschlag auf ihre Art fordern Leiharbeiter: Bei VW in Braunschweig führten die Logistik-Beschäftigten von VW GroupServices9 am 8. Juli nach der Frühschicht ihre dritte Protestaktion durch. Sie wollen Bezahlung nach Produktionslohn statt nach Logistiklohn. Das sind rund 650 Euro mehr. Bei einer Aktion vor dem Tor hatten die versammelten 50 Kolleginnen und Kollegen ihre Schilder von der Betriebsversammlung dabei: „Ende der Bescheidenheit – VW GS ist jetzt kampfbereit“; „Drei Schichten + Nebenjob ist nicht familienfreundlich“; „Ich kann gar nicht so schlecht arbeiten, wie ich bezahlt werde“. Stammwerker brachten ein Schild mit: „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“.

 

Das sind bedeutende Initiativen, in denen eine massenhafte Bewegung für höhere Löhne und Lohnnachschlag entsteht und gestärkt werden muss. Eine solche Bewegung gab es in Deutschland schon einmal – 1969 und 1973 –, als Antwort auf eine ebenfalls sprunghafte Inflation. Vom 2. bis zum 19. September 1969 streikten mindestens 140 000 Kolleginnen und Kollegen im Ruhrgebiet und im Saarland. Die selbständige Streikbewegung 1973 weitete sich über das ganze Jahr hinweg auf 400 Streiks mit 300 000 Beteiligten aus. Diese Streikwellen waren auch Ergebnis der Verarbeitung des Endes der langanhaltenden Hochkonjunktur nach dem II. Weltkrieg und erster Krisenerscheinungen. Eine wichtige Frage war, wie es gelang, die Kampfeinheit zwischen migrantischen und deutschen Arbeitern herzustellen.

 

Eine selbständig organisierte Streikbewegung hat hohe politische Brisanz. Dessen sind sich die Herrschenden bewusst. Um die Inflation als „sozialen Sprengsatz“ zu dämpfen, initiierte Bundeskanzler Olaf Scholz eine neue „konzertierte Aktion“. Diese spezielle Art von K.o.-Tropfen versuchen führende Politiker den Arbeitern immer dann einzuflößen, wenn das Klassenbewusstsein (auf breiter Front) erwacht. Wie er den Sprengsatz entschärfen will, ließ Scholz schon mal durchblicken. So lobte er ausdrücklich den Abschluss von Einmalzahlungen durch die Gewerkschaften an Stelle dauerhafter Lohnerhöhungen. Nach heftiger Kritik aus den Gewerkschaften ruderte Scholz zurück und dementierte, das so gemeint zu haben.

 

Teil einer weltweiten Bewegung

 

International ist die steigende Inflation Ausgangspunkt von zum Teil heftigen Arbeiterkämpfen und Massenprotesten. In Lateinamerika gehen in verschiedenen Ländern wie Ecuador, Panama, Argentinien, Brasilien die Menschen gegen eine rapid steigende Inflation, die Ausplünderung der Massen und der natürlichen Ressourcen auf die Straße. Seit Mitte Juni reißen die Massenproteste in Ecuador nicht mehr ab. Auslöser sind drastisch gestiegene Preise für Benzin und Diesel, die der ultrarechte Regierungschef Guillermo Lasso auf Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) durchsetzen will. Tote, zahlreiche Verletzte und Festnahmen bei brutalen Polizeieinsätzen lassen die Wut erst Recht hochkochen.

 

In Sri Lanka ist eine revolutionäre Situation entstanden. Die Wut der Massen resultiert aus der sich weiter ausbreitenden, existenzbedrohenden Lebenssituation, in der Lebensmittel und Treibstoff knapp sind. Die Inflation galoppiert und eine Hungerkrise bahnt sich an. Die Massen wollen nicht mehr in der alten Weise leben, die Herrschenden können nicht mehr wie hergebracht regieren. Immer wieder sagen Demonstranten: „Der Präsident wurde vertrieben, verjagt, damit geben wir uns aber nicht zufrieden.“ Das alles zeigt, wozu die Arbeiter und breiten Massen in der Lage sind, wenn sie sich ihre Klassenselbständigkeit erkämpfen. Und es zeigt, wie die beschleunigte Destabilisierung des imperialistischen Weltsystems den Boden für eine revolutionäre Weltkrise bereitet.  

 

Die Doppelmoral der Verzichtsprediger

 

„Wir sind schon Kriegspartei, als Wirtschaftskriegspartei, dafür zahlen wir natürlich einen Preis. Wir haben eine hohe Inflation, wir werden dadurch ärmer werden.“10 Wenn Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) von „wir“ spricht, muss man genau hinhören. Meint er im ersten Satz die herrschenden Monopole und ihre Regierung, sind es im zweiten Satz vor allem die werktätigen Massen. Immerhin ist er ehrlich: „Als Minister habe ich ein Gehalt, von dem andere nur träumen.“ Umso rührender seine opferbereite Solidarität beim Energiesparen: „Meine Duschzeit habe ich noch mal deutlich verkürzt. Ich habe noch nie in meinem Leben fünf Minuten lang geduscht.“11 Daran kann sich so mancher Hartz-IV-Empfänger doch ein Beispiel nehmen. Dank Habeck wissen wir jetzt, wie wir über den kalten Winter kommen. Und kalt werden die Wohnungen bleiben, wenn es nach ihm geht. Bevor das Erdgas für die Industrie knapp wird, sollen sich gefälligst die Mieter einschränken. Ganz in diesem Sinn hat Habeck die Priorisierung von Privatverbrauchern bei einem möglichen Gaslieferstopp schon mal infrage gestellt.12 Doch dann merkte er, dass er auch nicht tun und lassen kann, was er will. Nach Proteststürmen ruderte sein Ministerium zurück.

 

Auch Christian Lindner (FDP) ist ein Finanzminister, der sich aufs Sparen versteht. Die Förderung für Langzeitarbeitslose will er 2023 um 609 Millionen Euro kürzen. Irgendwo muss das Geld ja herkommen, das er für den Personenschutz bei seiner Glamour-Hochzeit aus Steuergeldern verschleudert hat! Noch Ende Juni stellte Lindner die Bürgerinnen und Bürger auf „drei bis vier, vielleicht fünf Jahre der Knappheit“ ein. Bei seinem rauschenden Fest im Luxuslokal „Sansibar“ auf Sylt war davon nichts zu spüren. Spott und Empörung in Leserbriefen, Internetforen und Medienkommentaren waren ihm sicher. „Leitungswasser predigen, Champagner saufen: Man muss nicht linksradikal sein, um diesen obszönen Zustand und die Doppelmoral zu benennen“, schreibt Hengameh Yaghoobifarah in der taz vom 13. Juni. Der Kampf um einen Lohnnachschlag ist genau die richtige Antwort auf die verlogene Verzichts- und Kriegspropaganda der bürgerlichen Politiker, die auf zunehmenden Widerspruch unter den Leuten stößt.

 

Das Recht zum Streik müssen wir uns nehmen

 

Eine Hürde für selbständig organisierte Streiks ist, dass es in Deutschland kein gesetzlich verankertes Streikrecht gibt. Allerdings gibt es auch kein Gesetz, das selbständige Streiks verbietet. Umso mehr kommt es darauf an, sich dieses Recht einfach zu nehmen. Es sei an den Streik der 130 000 Bergleute im großen Bergarbeiterstreik 1997 erinnert. Die Entschlossenheit und Fantasie der Bergleute hat so gegen ziemlich alle Paragrafen des Strafgesetzbuchs verstoßen – doch keiner wagte, die Bergleute anzutasten. Natürlich wird irgendwann der Staatsapparat – so wie in Sri Lanka – dagegen vorgehen. Doch Kampfgeist und Organisiertheit siegen in jedem Fall!

 

In Norwegen hat die Regierung den Streik auf Öl- und Gasfeldern mit dem Verweis auf den „Krieg in Europa“ gerichtlich verbieten lassen. Damit wird jeder Streik, jeder Protest, der sich gegen imperialistische Kriege richtet, für illegal erklärt. Die Faschisierung der Regierungspolitik nach innen ist die Kehrseite zur imperialistischen Kriegspolitik und Ausdruck der strategischen Schwäche der Herrschenden. Doch keineswegs ist man den Herrschenden einfach ausgeliefert. Der Kampf um die Verteidigung und Erweiterung demokratischer Rechte und Freiheiten bekommt dadurch wachsende Bedeutung. Vor allem der Kampf um ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht.

 

Die MLPD führt und unterstützt die gewerkschaftlichen und selbständigen Streiks als Schule für den Übergang zur Arbeiteroffensive, zum Kampf für den echten Sozialismus. Wer diesen Kampf mitführen will, findet in der MLPD und ihrem Jugendverband REBELL den richtigen Platz!