Rote Fahne 17/2022
Beschäftigte in der Transportbranche: Von wegen „Dienstleister“!
Allgemein zählen Transport und Logistik zu den „Dienstleistungen“. Mit solchen Zuordnungen wird unter anderem die postmodernistische These vom „Verschwinden der Arbeiterklasse“ untermauert. Karl Marx sah das anders. Warum?
Am 23. März 2021 bohrte sich der Rumpf der „Ever Given“ in den Ufersand des Suezkanals und löste damit eine sechstägige Blockade dieser weltweit wichtigsten Seefahrtsroute aus. Die „Ever Given“, ein Containerschiff der 20 000-TEU-Klasse1, war voll geladen. Es ist nicht überliefert, welche Ware sie transportierte. In einen Seecontainer dieser Art passen jedoch etwa 5000 Jeanshosen oder 6000 Schuhkartons oder 12 000 Flaschen Wein oder, oder, oder …
Angenommen, die „Ever Given“ hätte ausschließlich Jeans zu 50 Euro Marktwert geladen gehabt, dann hätte der Warenwert allein dieses einen Schiffes bei rund fünf Milliarden Euro gelegen. Nicht gerechnet der Warenwert der an beiden Enden des Kanals sich schließlich stauenden 422 Schiffe. Der ägyptischen Suez Canal Authority (SCA) sind in diesen sechs Tagen vermutlich Durchfahrtsgebühren von über 130 Millionen Dollar entgangen.
Produktiver Wertzuwachs
Richtig schmerzhaft mussten die internationalen Monopolkapitalisten erfahren, was schon Marx gesagt hatte. Nämlich, dass Profit erst beim Verkauf des Produkts gemacht wird. Der Informationsdienst Lloyd’s List schätzte, dass die Blockade die Weltwirtschaft aufgrund der Verzögerung von Waren rund 400 Millionen US-Dollar pro Stunde kostete2.
Kosten, die entstanden sind noch vor dem Verkauf, also in der Produktionssphäre: „Aber der Gebrauchswert von Dingen verwirklicht sich nur in ihrer Konsumtion, und ihre Konsumtion mag ihre Ortsveränderung nötig machen, also den zusätzlichen Produktionsprozess der Transportindustrie“, schreibt Karl Marx in „Das Kapital“3 und, „das in ihr angelegte produktive Kapital setzt also den transportierten Produkten Wert zu, teils durch Wertübertragung von den Transportmitteln, teils durch Wertzuwachs vermittelst der Transportarbeit“.
„Verschwindende Klasse“ tritt auf den Plan
Mit der Internationalisierung der Produktion ab den 1990er-Jahren hat der weltweite Handel einen rasanten Aufschwung genommen. Davon fallen mehr als 90 Prozent auf die Handelsschifffahrt. Zugleich ist die in dem Bereich beschäftigte Arbeiterklasse gewachsen: Hafenarbeiter, Besatzungen von Containerschiffen, Flughafenbeschäftigte und Flugzeugbesatzungen im Güterbereich, Bahnbeschäftigte im Güterbereich, Lkw-Fahrer, Paketzusteller und Beschäftigte in der Binnenschifffahrt.
Entgegen der bürgerlichen Selbstberuhigung vom „Verschwinden der Arbeiterklasse“ treten auch die Arbeiter in der Transportbranche selbstbewusst auf den Plan. Dazu gehören die Streiks der Hafenarbeiter in Deutschland ebenso wie die politischen Streiks der italienischen und griechischen Hafenarbeiter gegen imperialistischen Krieg und für höhere Löhne. Sie sind Teil des internationalen Industrieproletariats und ein wichtiger Faktor im Kampf für die Perspektive der vereinigten sozialistischen Staaten der Welt.