Rote Fahne 20/2024
Es ist an der Zeit, in die Offensive zu gehen
Mit mehreren selbständigen Warnstreiktagen haben die Stahlarbeiter von Thyssenkrupp Steel Europe (tkSE) die provokativen Pläne des Konzernvorstands gekontert.
Die Chefs des Gesamtkonzerns wollen mindestens 13.500 Arbeitsplätze zum Abschuss freigeben sowie eine Reihe von Standorten. Die Warnstreiks waren vor allem geprägt von selbständigen Elementen wie Torblockaden, Abstimmungen, offenes Mikrofon. Der Vorschlag der Kollegenzeitung „Stahlkocher“ für einen „unbefristeten Streik an allen Standorten, bis die Pläne vom Tisch sind“, wird in der Belegschaft aufgegriffen und immer breiter beraten. Auch die Kolleginnen und Kollegen bei VW und ZF diskutieren intensiv, was zu tun ist. VW hat unter anderem den 1994 abgeschlossenen „Beschäftigungssicherungsvertrag“ gekündigt und will mindestens zwei Werke schließen. ZF hat die Massenentlassung von 14.000 Beschäftigten angekündigt.
Bei VW vermuten einige Kolleginnen und Kollegen: „Das ist nur eine Drohkulisse, um uns in der Tarifrunde eine Nullrunde aufs Auge zu drücken.“ Andere sehen „Managementfehler“ als Grund. Das unterschätzt die weitreichende Veränderung, die von führenden Kreisen der Monopole gegenwärtig vollzogen wird. Sie haben ganz bewusst die jahrzehntelang praktizierte Politik der Klassenzusammenarbeit aufgekündigt. Diese steht dem geplanten Generalangriff – zunächst auf die Stahl- und Automobilbelegschaften – im Weg. Dabei verliert aber auch der Betrug an Boden, die Belegschaften könnten durch Verhandlungen von Betriebsräten oder Gewerkschaftsvertretern über die Konzernpolitik „mitbestimmen“. So tritt damit auch das wahre Gesicht der Diktatur der Monopole deutlicher hervor.
VW ist das größte deutsche Monopol mit einer 20-prozentigen Staatsbeteiligung des Bundeslandes Niedersachsen. Wichtige Initiativen der Klassenzusammenarbeitspolitik, aber auch Angriffe auf die Arbeiterklasse wie die Hartz-Gesetze – benannt nach VW-Manager Peter Hartz – gingen immer wieder von VW aus. Der Aufsichtsratsvorsitzende von Thyssenkrupp ist Siegfried Russwurm, im Hauptberuf Präsident des mächtigen Monopolverbandes BDI¹.
Was steckt hinter dem Generalangriff?
Tatsächlich verschärft sich der Rückfall der deutschen Wirtschaft insgesamt und führender Konzerne mit Hauptsitz in Deutschland gegenüber den imperialistischen Konkurrenten. Ein Grund dafür ist ihre hohe Exportabhängigkeit, durch die sich die anhaltende Weltwirtschafts- und Finanzkrise besonders stark auswirkt. In der Stahlindustrie ist tkSE auf Platz 41 der weltgrößten Stahlkonzerne weit abgeschlagen. Die deutschen Autokonzerne befürchten gar einen strategischen Rückfall. Dazu gehört der Verlust von Absatzmärkten bei den Elektroautos an Konkurrenten – wie Tesla oder den chinesischen Konzern BYD (mehr dazu auf Seite 20/21). China verfünffachte 2023 den Automobilexport gegenüber 2020. Vor allem chinesische Monopole haben einen großen technologischen Vorsprung in der Einführung von E-Mobilität und Digitalisierung. Freilich geben die deutschen Konzerne den Kampf um eine weltmarktbeherrschende Position nicht auf. Es macht sie nur noch aggressiver, um gegenüber den chinesischen oder US-amerikanischen Konzernen wieder Boden gutzumachen.
Die Monopole haben ökonomisch immer weniger Spielraum, Rücksicht zu nehmen, wie zum Beispiel auf die Klassenzusammenarbeitspolitik. Darum setzen sie darauf, ohne Zugeständnisse und Verzögerungen endlich „durchzuregieren“. So fordert Russwurm in seiner „Studie“: „Wir müssen alle Innovations- und Wachstumskräfte dieses Landes entfesseln und dringend mehr Tempo machen.“ Gemeint ist damit, dass die staatlichen Ausgaben noch mehr als bisher auf die Subventionierung der Monopole konzentriert werden und dass mit Rücksichten auf die Wahrung des „sozialen Friedens“, aber auch auf den Umweltschutz, Schluss sein soll. Dafür soll auch bei Renten, Bürgergeld und so weiter gekürzt werden.
Damit legen sich die Monopole allerdings mit den Stahlarbeitern und Automobilarbeitern als Kerntruppen des internationalen Industrieproletariats an. Und das in einer Situation, in der zahlreiche Konzerne die Vernichtung von Arbeitsplätzen angekündigt haben, die Ampel-Regierung angezählt ist und die Mehrheit der Bevölkerung so nicht mehr regiert werden will! Das alles ist Grundlage für die in Deutschland offen aufgebrochene politische Krise. Die MLPD hat durch ihre jahrzehntelange Kleinarbeit in vielen Betrieben großen Einfluss und hilft den Belegschaften tatkräftig bei der Organisierung der nun anstehenden Kämpfe.
Die offene Krise des Reformismus ...
Knut Giesler, NRW-Bezirksleiter der IG Metall, versuchte sich nach Bekanntgabe der Kahlschlagspläne des Thyssenkrupp-Vorstands mehr schlecht als recht in Optimismus: „Wir haben eine Schlacht verloren, aber nicht den Krieg.“ Die Stahlarbeiter können sich beim besten Willen nicht an irgendeine „Schlacht“ Gieslers erinnern, allenfalls an seine kläglich gescheiterten Verhandlungen. Dabei hatte er schon angeboten, die Vernichtung tausender Arbeitsplätze bei tkSE zu akzeptieren – für das vage Versprechen des Konzerns, auf sogenannte „betriebsbedingte“ Kündigungen zu verzichten. Nicht mal das wollte man Giesler zugestehen. Wenn Giesler nun das in Auftrag gegebene „Sanierungsgutachten“ als „gemeinsame Basis für weitere Entscheidungen“ akzeptieren will, statt entschlossen um jeden Arbeitsplatz zu kämpfen, ist seine nächste Niederlage schon vorprogrammiert. Den nun anstehenden Krieg werden die Stahlarbeiter bestimmt nicht gewinnen, wenn sie ihn mit Gieslers stumpfen Waffen führen.
Wer soll das Heft nun in die Hand nehmen?
Diese Frage wird zigfach in den Belegschaften diskutiert. Ein Kollege von VW Kassel dazu: „Wir müssen auch lernen, das Risiko einzugehen, den Kopf aus dem Fenster zu strecken.“ Es stimmt: Nur wer kämpft, kann gewinnen. Im Kampf um den Erhalt der Arbeitsplätze, aber auch in der Erfahrung einer breiten Solidarität und in der Bewusstheit, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter am längeren Hebel sitzen und noch viel mehr erreichen können.
Tatsächlich erfordert es Mut und Selbstlosigkeit, einen selbständigen Streik zu beginnen und durchzuhalten. Das müssen die Belegschaften und kämpferische Kolleginnen und Kollegen selbst in die Hand nehmen. Denn im Kampf gegen die Vernichtung von Arbeitsplätzen gibt es in Deutschland kein gesetzliches Recht auf Streik. Eine Gewerkschaft darf dazu nicht aufrufen. Doch können sich solche Kämpfe mit gewerkschaftlichen Streiks in der Tarifrunde der Metall- und Elektroindustrie durchdringen und sich wechselseitig beflügeln. Selbständige Streiks im Kern des Industrieproletariats haben das Potenzial zum Übergang in die Arbeiteroffensive. Und das ist genau die richtige Antwort auf die offene politische Krise und den Generalangriff der Monopole.
Zur Offensive gehört, sich eben nicht nur zu verteidigen, sondern anzugreifen. Dafür braucht es offensive Forderungen, wie nach der 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Dazu gehört aber auch, immer besser zu lernen, von den Interessen der ganzen Arbeiterklasse auszugehen, die unversöhnlich dem allein herrschenden internationalen Finanzkapital entgegensteht. Vor allem reicht es nicht, bei wirtschaftlichen Forderungen stehenzubleiben. Wir brauchen gerade angesichts der verheerenden Weltlage auch politische Streiks und ein allseitiges und vollständiges gesetzliches Streikrecht (siehe Seite 23). Der beste Arbeitsplatz nützt nichts, wenn wir nicht die Menschheit vor dem drohenden Untergang in einem Dritten Weltkrieg oder einer globalen Umweltkatastrophe retten. Das wird nur möglich sein in einer von der kapitalistischen Profitwirtschaft befreiten Gesellschaft – im echten Sozialismus. Wer diesen Weg beschreiten will, kann dies am besten als Mitglied der MLPD. Sie verfügt nicht nur über das nötige Know-how für Arbeiterkämpfe, sondern führt sie als Schule eines wirklich gesellschaftsverändernden Kampfes.